Rockmusik

Trotz ihrer relativ kurzen Geschichte hat sich die Rockmusik in den rund 40 Jahren ihres Bestehens zu einem weltweiten musikalischen Massenphänomen entwickelt, das hinsichtlich Rezeption und Verbreitung alle bisherigen Musikformen in den Schatten stellt. Dies beruht weit stärker noch als beim Jazz, dem sie wie alle anderen Formen afroamerikanisch geprägter Populärmusik ihre Ursprünge verdankt, auf der von Anbeginn an untrennbaren Verbindung mit dem Medium der Schallplatte und deren industrieller Vermarktung. Wie eng dabei das Wechselspiel war, zeigte sich bereits in den 1950er-Jahren, als im Anschluss an den Rhythm and Blues mit dem Rock 'n' Roll, dem unmittelbaren Vorläufer der Rockmusik, auch die ersten, v. a. für jugendliche Käuferschichten erschwinglichen Singleschallplatten auf den Markt kamen. Dabei stand der Begriff Rockmusik bald schon für mehr als nur für eine spezielle, »von unten« her sich entwickelnden Musizierweise. Zur Rockmusik gehören ebenso allgemeine, von Fankreisen praktizierte kulturelle Verhaltensweisen, die beim äußeren Erscheinungsbild (Haarstile, Mode) und Auftreten (Rocker, Punk) anfangen und je nach sozialem Umfeld von vehementem politischen Protest und Aussteigermentalitäten (Hippies, Rock gegen Rechts), aber auch von bloßer Konsumhaltung (Disco, Raver) getragen sein können.

Heute noch eine einheitliche musikalische Gattungsdefinition für Rockmusik aufstellen zu wollen ist angesichts der unüberschaubaren Fülle und Wechselbeziehungen vergangener und existierender Spielarten unmöglich. Dennoch finden sich zumindest einige mehr oder weniger durchgängige Kriterien: ein der afroamerikanischen Musik entlehnter, motorisch durchgeschlagener Beat, über dem in einem strukturellen Spannungsverhältnis vokale oder instrumentale Melodiepattern liegen; daneben eine spezielle Soundcharakteristik, die abgesehen von der jeweils individuellen musikalischen »Sprache« von Musikern und Sängern v. a. darauf beruht, dass die Rockmusik grundsätzlich auf elektrisch verstärktem (bzw. verfremdetem) Wege (PA-System; Effektgeräte) entsteht und rezipiert wird; und drittens eine Grundbesetzung, die aus Leadgitarre, Rhythmusgitarre, Bassgitarre und Schlagzeug besteht und sich in der wechselvollen Geschichte der Rockmusik bis heute am reinsten v. a. im Hardrock bzw. Heavy Metal erhalten hat.


Mick Jagger (links) und Keith Richards von den Rolling Stones(1995)

Ausgelöst durch amerikanische Musikfilme mit Rock-'n'-Roll-Stars wie E. PRESLEY, entstand gegen Ende der 1950er-Jahre vor dem Hintergrund eines breiten Dixielandrevivals einer Skifflebegeisterung unter den Jugendlichen in Großbritannien eine breite, anfangs dem Rock 'n' Roll verschriebene Amateurmusikbewegung, aus der sich um 1960 durch veränderte Spielweisen (u.a. stärkere Betonung des Beat und des harmonischen Grundgerüsts) von Rock-'n'-Roll-Standards die sog. Beatmusik entstand. Zum Kristallisationspunkt dieser Bewegung wurde die am Fluss Mersey gelegene Industriestadt Liverpool, die zu dieser Zeit schätzungsweise weit über 400 solcher Gruppen beheimatete. Von diesen erlangten v. a. die Beatles in den kommenden Jahren mit Titeln wie »She loves you« und »I want to hold your hand« (beide 1963), »Eight days a week« (1964) oder »Help« (1965) eine europaweite Fanpopularität (»Beatlemania«), die bald auch die USA erreichte und dort mit Gruppen wie den Beach Boys vergleichbar populäre Nachahmer fand. Während die Beatles bis zu ihrem experimentellen Album »Sergeant Pepper's lonely hearts club band« (1967) weitgehend der einfacher strukturierten, v. a. ein weißes Publikum ansprechenden Beatmusik verpflichtet blieben, bildete sich in London u.a. um die Gitarristen und Sänger A. KORNER und J. MAYALL eine mehr an den afroamerikanischen Wurzeln wie Blues und Rhythm and Blues orientierte Szene, aus der heraus sich v.a. die Rolling Stones als Gegenpol zu den Beatles formierten. Mit Titeln wie »The last time« (1964) oder »I can't get no satisfaction« (1965) entwickelten sie eine agressivere Spielweise, die der Rockmusik bald das Bürgerschreckimage verlieh, das nicht zuletzt durch spektakuläre exzessive Konzertauftritte anderer Gruppen wie u. a. The Who noch lange in der Öffentlichkeit vorherrschen sollte. In den USA kam es unterdessen ab der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre im Zuge von Flowerpower und Hippiebewegung zu einer raschen Ausbildung zahlreicher neuer Stilarten wie Folkrock, Jazzrock, Psychedelic Rock, Country-rock, Latin Rock, während in England mit Gruppen wie Pink Floyd, Soft Machine oder dem Rocktrio Cream um den Gitarristen E. CLAPTON durch ausgedehnte Improvisationen und ausgefeilte Arrangements eine »Artifizialisierung« der Rockmusik stattfand. U.a. durch Rückgriffe auf klassische Formmodelle (Classic Rock) entstanden v. a. durch den nun immer stärker werdenden Einsatz elektronischer Klangsynthese mehr-sätzige Rockmusikwerke, z.B. die »Gemini-Suite« (1970) von Deep Purple, oder man experimentierte mit dem Genre der Rockoper.

Die Legende: Woodstock 1969
Mit dem dreitägigen Freiluft-Rockfestival im August 1969 in der Nähe der amerikanischen Kleinstadt Woodstock im Staat New York setzte sich die Hippiegeneration ein Denkmal. Unter den Wahlsprüchen »Flowerpower«, »Peace 'n' Love« kam fast eine halbe Million Zuschauer zusammen, um trotz Matschs und Regens 32 Rockbands (u.a. J. HENDRIX, J. BAEZ, J. JOPLIN, B. DYLAN, Santana, J. COCKER) zu hören, Drogen in gewaltigen Mengen zu konsumieren und sich der freien Liebe hinzugeben - aber auch um gegen den Vietnamkrieg zu demonstrieren. Woodstock wurde damit für eine ganze Generation zum Synonym für den friedlichen Protest gegen das Establishment.

  
Schon 1970 war das Rockfestival in Woodstock Legende und Inbegriff der Hoffnung auf eine bessere Welt. Die Abbildung zeigt das deutsche Plakat des Dokumentarfilms von Michael Wadleigh.

Zweifellos hatte sich die Rockmusik mit den Supergroups der 1970er-Jahre wie Yes, Alan Parsons Project oder Emerson, Lake& Palmer und ihren z.T. akademisch geschulten Musikern immer weiter von ihren amateurhaften, vielfach dem proletarischen Milieu entstammenden Wurzeln entfernt. Der Satz: Kauf dir eine Gitarre, lerne drei Griffe und mache Musik, galt nicht mehr. Dementsprechend brutal erfolgte 1975 der Einbruch des Punkrock in die etablierte Rockmusikszene. Vor dem Hintergrund einer in den westlichen Industriegesellschaften sprunghaft ansteigenden Jugendarbeitslosigkeit spielten die Sex Pistols 1977 ihr »Anarchy in the UK«, das zur Hymne einer No-Future-Generation wurde. Über den letzten Auftritt der Sex Pistols im »Winterland« in San Francisco am 14.1. 1978, der auch auf Video festgehalten ist, schreibt das Rockmagazin »Rolling Stone«: »Die Sex Pistols haben eher Geschichte gemacht als Musik, doch bei ihrem allerletzten Auftritt konnte die Musik der Geschichte gerecht werden. Johnny Rotten klammerte sich an seinem Mikrofonständer fest, als würde er im nächsten Moment von der Bühne gefegt werden... Rotten und Jones stürzten sich so brachial in die Musik, als hätten sie nichts mehr zu verlieren.« Obwohl der Punkrock selbst nur drei Jahre anhielt, hatte er weitreichende Folgen, wobei so mancher Rockmusikpurist mit seinem Aufkommen bzw. Niedergang gleichzeitig das Ende der eigentlichen Ära der Rockmusik überhaupt beklagt. Zwar hat der Punkrock die Rockmusik wieder der Straße zurückgebracht. In seinem Gefolge setzte aber mit dem New Wave und seiner deutschen Variante, der Neuen deutschen Welle, Anfang der 1980er-Jahre parallel zu einer Dezentralisierung der Produktionsformen durch sog. Independentlabels auch eine Atomisierung der Rockmusik in die unterschiedlichsten Stil- und Spielarten ein, die sich zudem noch mit neueren afroamerikanischen Musikformen wie Funk, Rap, Reggae und Hip-Hop verbanden. Spiegel dieser immer undurchsichtiger werdenden Entwicklung ist nicht zuletzt der 1981 eingerichtete Musikfernsehsender MTV, der mit seinen Musikvideoclips eine weltweite Fangemeinde 24 Stunden am Tag beliefert. Nach dem vorläufig letzten Aufkommen eines weitgehend eigenständigen Rockmusikstils im Grunge zu Beginn der 1990er-Jahre scheint die Rockmusik vorerst ihre Stellung als musikalische Subkultur an die Tanz- und Discokultur von House und Techno abgetreten zu haben.