Auf
den Spuren eines Evergreens
Es geht um einen
echten Ohrwurm, um ein ebenso bekanntes wie beliebtes Lied.
Die Melodie von "Its a long way to Tipperary" erkennt man
meist schon nach den ersten paar Takten sofort wieder. Der
Song stammt aus der Zeit des ersten Weltkrieges und war
schon damals unglaublich populär. Doch wie sein Titel
eigentlich vermuten lässt - aus Irland stammt er nicht. Die
südirische Grafschaft Tipperary ist zwar froh über diese
Werbung nach Noten, aber die Geschichte des Songs ist eine
ganz andere.
Irgendwo in
Nord-Frankreich, Anfang September 1914. Vier Wochen nach
Ausbruch des ersten Weltkriegs bremsen französische Truppen
den deutschen Vormarsch. Britische Truppen sind als
Verstärkung auf dem Weg zur Front, sie bringen neben
Kriegsmaterial auch einen neuen Song mit. "It's a Long Way
to Tipperary" wird unglaublich populär. Weil der Song nicht
vom Heldentod, sondern von der Heimat handelt. Auch deutsche
Kriegsgefangene singen das Lied. Und auch sie sind sich
sicher - der "Long Way to Tipperary" muss aus Irland kommen.
Der lange Weg nach Tipperary ist heute nicht mehr ganz so
lang. Limerick Junction, der Eisenbahn-Knoten, liegt im
Süden der Republik Irland, zwei Fahrstunden von der
Hauptstadt Dublin im Norden entfernt. Noch einmal zwei
Meilen weiter, mitten im Tal, eingerahmt von Bergen, liegt
die Stadt Tipperary. "You've come a Long Way" - Tipperary
profitiert heute noch vom Ruhm des Liedes. Gäbe es den Song
nicht, wüsste die Welt wohl nicht einmal, daß das
8000-Einwohner-Städtchen überhaupt existiert.
Tipperary ist Irland wie auf der
Postkarte: Der Spitzname Paddy' ist heute Markenzeichen. Die
St.-Michaels-Kirche, im gotischen Stil erbaut, wie hundert
andere Gotteshäuser in Irland. Tipperary hat nur einen
Schönheitsfehler - die Stadt ist nur zufällig Namensgeber
für den Song. Der Komponist war nie hier. Die Suche nach den
Anfängen des Songs endet im irischen Tipperary in der
Sackgasse. Die Musik spielt im wahrsten Sinne des Wortes
woanders. Der industrielle Norden Englands , zehn Meilen von
Manchester entfernt. Hier, im englischen Stalybridge und
nicht auf der grünen Insel Irland beginnt der lange
musikalische Weg nach Tipperary. Stalybridge, die Stadt der
Pendler. Viele, die sich das teuer gewordene Manchester
nicht leisten können, leben hier. Heute sind es 25.000
Einwohner - genausoviele lebten 1912 in dem Städtchen. Wie
aber kam Tipperary' als Titel eines Songs ins nordenglische
Stalybridge? Spurensuche in der örtlichen Bücherei. Zwischen
Dokumenten über die industrielle Revolution auch seltene
Erinnerungen an den Komponisten des Tipperary-Songs, Jack
Judge.
Der Varieté-Sänger Jack Judge
trifft sich am abend des 30. Januar 1912 mit Freunden im Pub.
Sie bieten ihm zu fortgeschrittener Stunde eine Wette an:
Jack Judge würde es nicht schaffen, bis zur Aufführung am
nächsten abend einen neuen Song zu schreiben. Judge nimmt
die Wette an, sie geht um fünf Shilling, damals der
Gegenwert einer Flasche Whisky und einer Handvoll
Zigaretten. Als Jack Judge nach Hause geht, hat er nur die
Wette im Kopf. Einige Nachtschwärmer kommen ihm entgegen,
einer erklärt dem anderen den Weg, der Wortfetzen "It's a
Long Way ..." bleibt bei Judge hängen. Judge ist
Entertainer, er denkt an seine Zuschauer, viele von ihnen
irische Soldaten, zufällig in Stalybridge stationiert. Judge
fügt also den Namen der irischen Stadt ein, aus der viele
Soldaten kommen. Dann schläft der Komponist erst einmal über
die Idee. Es ist sehr später vormittag, als Judge am
nächsten Tag aufwacht und hier seine Wohnung verlässt. Sein
Stammlokal ist in der Corporation Street'. Hier komponiert
Judge am 31. Januar 1912 mittags in nur ein-einhalb Stunden
das legendäre "It's a Long Way to Tipperary". Das Lokal ist
heute nach dem Komponisten benannt, das englische
Stalybridge ist stolz auf seinen' Tipperary-Man. Und die
irische Stadt Tipperary ist durch den Song mehr als nur ein
Fleck auf der Landkarte der grünen Insel. |